Die neuen Fälle 41: Die dunkle Seite der Seele – Kritik

I. Worum es geht

Wieder findet sich in diesem Sherlock Holmes – Hörspiel eine ganze Riege von guten Sprechern zusammen. Neben den bekannten Sprechern von Holmes, Christian Rode und Watson, Peter Groeger, wären dies im Einzelnen: Lutz Harder, Daniela Molina, Heiko Akrap, Mogens von Gadow, Santiago Ziesmer, Bernd Vollbrecht, Ilka Teichmüller, Jörg Hengstler und Bodo Wolf.

Die Geschichte beginnt ungewöhnlich. Watson – in der Nacht mit der Droschke auf dem Weg heimwärts – begegnet einer übel zugerichteten, verwirrten jungen Frau. Er nimmt sie mit in die Baker Street, um sie ärztlich zu versorgen und muss sich, gemeinsam mit Holmes, unglaubliches anhören: Ihr Vater habe sie zum wiederholten Male verprügelt. Er, der sie auch sexuell mißbraucht habe und dann durch Gewalteinwirkung die Geburt des Kindes unmöglich machte, so dass es starb, wird in den Fokus der Erzählung geschoben.

Holmes und Watson sind so eingenommen von der Erzählung der Frau, die sich Emma Keyston nennt, dass sie ihrem, in Susex lebenden, Vater, Gerome Keystone eindringlich ins Gewissen reden wollen.

Was sie nicht ahnen ist, dass Gerome Keystone Teil einer Geldfälscherbande ist und so geraten Holmes und Watson in einen Fall, der verworrener und vielseitiger ist als man es kennt.

II. Kritik

Ich sagte es schon oft und werde es auch nicht müde, dies zu betonen: Ich mag Rode und Groeger in ihren Rollen als Holmes und Watson. Jedes Hörspiel der Reihe ist daher ein Gewinn.

Es folgen in dieser Kritik SPOILER. Wer diese nicht lesen will, gehe gleich zum Fazit.

Bei dieser Geschichte gab es für mich persönlich ein paar Schwächen, die ich – als langjähriger Holmes-Fan, anbringen muss.

  1. Holmes übernahm stets Fälle, die ihn reizten. Diese mussten immer außergewöhnlich sein, seinen Geist herausfordern, dann waren sie von Interesse! Watson war immer der Part, der voller Mitgefühl für die Klienten war, während Holmes, ähnlich einer Maschine, die Fakten aussiebte, um dann zu entscheiden, wie herausfordernd der Fall wäre. In diesem Fall ist daher, wie ich finde, die Rollenverteilung nicht so ganz perfekt gelungen. Denn auch Holmes ist hier absolut voller Mitgefühl und es bedarf keinerlei Überedung, um ihn dazu zu bewegen, nach Sussex zu fahren, um Gerome Keyston ins Gewissen zu reden. Später im Hörspiel fragt Watson danach, was sie in Sussex nun eigentlich machen würden? Genau das fragte ich mich auch. Selbstverständlich waren die Untaten des Vaters Keyston moralisch einfach nur wiederlich. Aber darum geht es nicht: Wäre es Holmes gewesen, der sich ungestüm auf den Weg gemacht hätte, nur um ihm ins Gewissen zu reden? Eher nicht. Watson indess wäre schon eher losgefahren und Holmes wäre ihm dann spätestens nach dem Auffinden des Falschgeldes gefolgt.
    Ein Holmes a´la Jeremy Brett hätte sicherlich ganz anders auf das Eintreffen der verletzten Emma Keyston reagiert. Vielleicht hätte er sich in seinem Archiv nach Keyston erkundigt und ihn im Auge behalten. Wäre er nach Sussex gereist, um mit ihm zu „reden“? Fraglich.
    Der „moralische Aspekt“ wird von mir nicht weiter besprochen. Ich finde es mutig, so etwas in einer Holmes – Geschichte unterzubringen, aber ist es nicht auch zu modern für die alten Zeiten, so offen darüber zu sprechen, was Keystones Tochter widerfuhr? Natürlich kam so etwas auch damals vor und sicher eher häufiger noch als heute, wo es weniger nötig ist, den Mantel der (Schein)moral darüber auszurbreiten… Ich kann mich nicht entscheiden… Mutig bleibt es.
  1. Langwierigkeit. Es gibt eine Stelle im Hörspiel, in der genau „gezeigt“ wird, wie es zu einem bestimmten Mord kommt. Später, bei der Poirot-esquen Aufklärung vor versammelter „Besetzung“, erklärt Holmes wieder, Stück für Stück, was vorgefallen ist. Interessant für die Personen, aber nicht für den Hörer, der das alles schon kennt. Da hätte Watson erzählend eingreifen können, um diese Wiederholung zu verkürzen. Es fehlen Holmes zudem bei seiner Erzählung die deduzierten Beweise zum Tathergang: Holmes hätte z.B. die Revolverkugel in der Wand finden können, um daraus zu deduzieren, dass Sanders in dieser Richtung geflohen ist. Schuhabdrücke von Sanders hätten seine Identität bestätigen können. Aber Holmes ergeht sich hier in überzeugt vorgebrachten Vermutungen. Woher wusste er, dass Sanders geflohen ist? Das es Sanders war, der da geflohen ist?
  1. Ungewöhnlich und irgendwie untypisch für eine Holmes-Story ist auch, dass hier zwei Personen ins Gefängnis wandern und zwar – darauf kommt es mir an – für ein Verbrechen, für das sie quasi unschuldig waren. Keyston, ein von Grundauf schlechter Mensch, kommt für einen Mord ins Gefängnis, in den er gedrängt worden war. Overtone kommt ins Gefängnis, weil er von Keyston gereizt worden war (durch seine angebliche Entlassung) und dieser nun versucht, jenen in (geheimer) Gegenwart Lestrades und Holmes / Watsons umzubringen. Holmes ist in der Regel eher der Typ, der entweder perfekte Beweise hat oder gar nichts vorweisen kann. Warum Keyston mithilft, Overtone zu „überführen“ wird auch nicht erklärt. Man mag sich denken, dass ihm eine geringere Haftstrafe oderdie Aussicht auf Rache an Overtone überzeugten. Schade, dass das – im Gegensatz zur Wiederholung des Tathergangs bezüglich Rothsteins – nicht zu hören war. Ach ja: Der Überführungs- Trick mit Overtone erinnert mich eher an Inspektor Columbo als an Sherlock Holmes.

III. Fazit

Diese kontroverse, untypische Geschichte ist – von einem experimentellen Standpunkt aus – von einem gewissen Reiz. Natürlich ist es ermüdend immer dieselbe Art klassischer Holmes – Erzählungen zu Papier zu bringen und so hat der Autor, Marc Freund, hier etwas gänzlich Neues erschaffen. Es funktioniert weniger als – von der Hörspielserie – losgelöste Holmes-Pastiche, denn als Hörspiel-typische Erzählung, denn dieser Holmes ist der „Rode-Holmes“; ein Holmes, der etwas emotionaler geworden ist, der sich die Freiheiten nimmt aus alten Verhaltensmustern auszubrechen.

Die Spielfreude der Sprecher macht zudem großen Spaß. Mich persönlich hat nur gestört, dass Jörg Hengstler dieses Mal einen anderen Charakter als den aus der Lestrade-Reihe beliebten Dr. Thomas Lovell gesprochen hat. Ich verbinde diese Stimme inzwischen mit Lovell und so fühlte sich die Stimme als „Gangster-Stimme“ fehlbesetzt an.

„Die dunkle Seite der Seele“ ist schon im Titel untypisch für eine Holmes – Story. Die Spielfreude der Sprecher sorgt dafür, dass besonders die Fans des „Rode-Holmes“ und des „Groeger-Watson“ großen Spaß an diesem Hörspiel haben werden.

Allen Verfechtern des „definitiven“ Originals wird sie zur Freude gereichen, wenn sie etwas großzügig mit dieser Bereicherung im Bereich „Sherlock Holmes Hörspiel“ umgehen.

Zu erwerben ist das Hörspiels z.B. hier:

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