UFO 1978

Das Geräusch des laufenden Motors beruhigte ihn, wie er auf dem Rücksitz lag. Gerade acht Jahre alt. Er betrachtete die Linien, die sich durch die Heckscheibe zogen. Die Heizung, wie die Eltern ihm gesagt hatten, „falls es mal friert.“ Sein Vater saß vorne auf dem Beifahrersitz, kaute auf seinem Kaugummi, seine Mutter fuhr schweigsam. Dann und wann jedoch unterhielten sie sich, über langweiliges Zeug. Politik und über was sich Erwachsene eben so unterhielten.

Jetzt fuhren sie mitten durch einen Wald. Er konnte die hervorstehenden Äste und Zweige sehen. Als wären es Riesen, die auf ihn herabblickten. Schön war das, die Bäume so vorbeifahren zu sehen. Langsam wurde es dunkel.

„Wie lange noch?“ hatte er nun schon vor einer Weile gesagt, bevor sie bei der Tankstelle angehalten hatten. Er war auf die schmutzige Toilette gegangen, die so aussah als wäre sie seit Monaten nicht gereinigt worden. Mit spitzen Fingern und Servietten hatte er ein Brötchen gegessen, dass mit einem Klops Mett belegt war. Dazu eine Fanta und ein Bounty.

Nun lag er wieder satt auf der Rückbank. Die Eltern hatten das Radio eingeschaltet. Wenn es stimmte, was sie gesagt hatten, wäre es nur noch eine halbe Stunde bis sie zuhause wären. Oder wenigstens nicht viel mehr. Aus seiner Liege-Position konnte er ganz hoch schauen – bis in die Sterne, die jetzt so vorbei zogen wie zuvor noch die Äste der riesigen Bäume. Fern waren sie, doch wirkten sie so als wenn er sie ganz einfach so greifen könnte.

Er hockte sich jetzt hin, denn hinter ihnen waren keine Autos mehr, die mit ihren strahlenden Lichtern blenden konnten. Dort zog sich – im Kreis des Rücklichts – die Straße hin. Die unterbrochenen Striche auf der Straße schienen zu pulsieren. Bum – Bum – Bum… Oder waren es Laserstrahlen? Ja, genau! Piu! Piu! Die Striche bekamen etwas einschläferndes. Bald wäre er wieder zuhause. Seine älteren Geschwister waren dort, würden sicher wieder anfangen, ihn zu ärgern. Sie liebten es, ihn zu ärgern. Oft hatte er sich gefragt, warum das so war. Lag es daran, dass er nichts Böses wollte? Das er der Jüngste war? Er verstand es nicht. Egal. Jetzt waren da nur seine Eltern, er und die Striche auf der Straße, die sich in die Ferne zogen.

Vielleicht wäre er eingeschlafen, aber da sah er etwas, was er nicht glauben konnte. Er sah es zuerst in der Ferne, da wo ein Dorf zu sein schien. Da war ein seltsames Licht, das zu schweben schien. Es hing einfach so in der Luft, war aber zu weit entfernt, um wirklich erkennen zu können, was es war. Bestimmt nur eine optische Täuschung. Sie hatten einmal über optische Täuschungen im Unterricht gesprochen. Dann vergas er das Licht, was vielleicht daran lag, dass es plötzlich nicht mehr zu sehen war. Sie fuhren weiter. Das Geräusch des Autos, die Wärme der Heizung, die seine Eltern nun eingeschaltet hatten, ließen ihn noch müder werden. Bald wären sie zuhause…

Er legte sich wieder auf die Rückbank. Wieder blickte er in die Richtung der Sterne. Aber die Sterne waren fort. Es hatte sich wohl bezogen. Vielleicht würde es bald regnen? Nun inspizierte er die Muster der Sitzbank. Pfeile, die ineinander übergingen. Jetzt sah er wieder nach oben. Da erkannte er, dass die Sterne doch zu sehen waren, das es etwas anderes gewesen war, was ihm die Sicht genommen hatte – nicht die Wolken! Es war rundlich. Eine runde Scheibe, die über ihrem Auto schwebte! Er konnte es nicht glauben. Nun – als sie weiter fuhren – konnte er diese Scheibe im Ganzen sehen. Groß, ja, riesig und schwebend und plötzlich ging ein inneres Licht von dem Objekt aus. Er erkannte eine Art „Kuppel“. Ein grünlicher Strahl hangelte sich über die Fahrbahnmarkierungen auf ihn – auf ihr Auto – zu, wie eine zarte, vielgliedrige Hand aus Licht. Obwohl er sich sonst immer als Angsthase empfand und seine Geschwister ihn immer als „Mimose“ bezeichnet hatten, was ihn so oft verletzt und in ihm ein Gefühl der Ohnmacht ausgelöst hatte, fühlte er nun gar keine Angst. Es fühlte sich sogar erhebend an. Als wäre es genau so richtig, was hier geschah. Ganz natürlich.

Je älter er wurde, desto mehr verblasste das Ereignis jener Nacht und als er ein junger Mann war, ordnete er seine vagen Erinnerungen in dem Bereich seiner übersprudelnden Fantasie ein. Ein Teil von ihm jedoch wusste, dass das eine Lüge war. Das an jenem Abend auf dem Weg nach Hause etwas Besonderes mit ihm geschehen war. Etwas, was ihn für den Rest seines Lebens verändert hatte. Es war ein Samen in ihm gepflanzt worden. Ein Stück vom Weltraum existierte seither in ihm. Am deutlichste spürte er das immer dann, wenn er sehnsuchtsvoll in den von Sternen übersäten Nachthimmel blickte.

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