Mr. Jones und das Alter…

Als Mr. Jones an diesem Morgen aufwachte und in die Küche zu seinen Medikamenten gehen wollte, kam er – wie jeden Morgen – an seinem Spiegel im Flur vorbei. Er sah sich nur kurz von der Seite an, aber das, was er da sah, brachte ihn dazu, noch einmal genauer hinzuschauen.

Graue, fast weiße Haare sah er, einen Alt-Männer-Bauch (er aß sehr wenig, aber irgendwie wusste das sein Körper nicht) und ein Grübchen an seinem linken Auge. Er zog sich den Stuhl von der Garderobe heran und setzte sich. Auf seinen Unterarmen zeigte sich die feine Maserung seiner Haut, jedoch mit einem unangenehm trockenen „Netzmuster“. Seine Schuppenflechte war ebenfalls dabei, sich auszubreiten.

Er sackte in dem Stuhl zurück und seufzte.

Sein 25jähriges Ich kam in diesem Moment ebenfalls aus dem Schlafzimmer und gähnte. Mr. Jones konnte ihn genau vor seinem inneren Auge sehen. Einen Bauchansatz hatte der auch, aber mein Gott, wie schlank er doch war! Der 25jährige hatte bisher nur drei Leistenbruch – Operationen hinter sich gebracht. Zum Vergleich: Mr Jones von heute hatte bereits fünf hinter sich und der letzte verlief so ungünstig, dass er regelmäßig Beschwerden hatte.

Er verfolgte sein jüngeres Ich ins Badezimmer, ohne zu indiskret zu sein, da kam er ihm schon wieder entgegen. Der junge Mann setzte sich an seinen Küchentisch, wobei er drei Brötchen dick mit Nougatcreme bestrich. Sein Kaffee war schon durchgelaufen und er genoss auch diesen in großen Schlücken.

Mr. Jones wurde sehnsüchtig um sein Herz. Wie gerne hätte er mal wieder so „unvernünftig“ gespeist! Aber seit gut 5 Jahren hatte er eine Mischung aus einem unangenehmen Reizdarm und einer nicht definierbaren Neigung zu Entzündungen im Verdauungstrakt entwickelt. Während hoch entwickelte Technik und gut ausgebildete Ärzte alle Fakten zusammentrugen, wurde klar, dass er „irgendetwas“ hat. Eine Definition blieb bisher aus und es gab Tage, an denen Mr. Jones nicht unglücklich darüber war, während er an anderen Tagen darüber schimpfte, wie „dilletantisch die heutige Medizin ist! Mein Gott, wir leben im 21. Jahrhundert!“

Aber dieser Kerl da am Frühstückstisch konnte wirklich essen, was er wollte. Er nahm offenbar nicht wirklich zu und, wie sich im Verlauf seiner Fantasie über die Vergangenheit, herausstellte, hatte er auch eine vernünftige Verdauung.

Dann fiel Mr. Jones eine gewisse Leichtigkeit an ihm auf, denn er begleitete den jungen Mann weiter durch seinen Tag, während er etwa im Pleasant Garden – Park spazieren ging. Er sah hübschen jungen Frauen – in seinem Alter! – hinterher. Aber er wurde leider von diesen kaum beachtet. Was Mr. Jones, der Ältere, nicht verstand. Während er versuchte, sich klar zu werden, woran das lag, fiel ihm erstmals eine gewisse Schwermut an dem jüngeren Jones auf. Aber viel mehr noch bemerkte er, wie viele wunderschöne Frauen in seinem Alter es gegeben hatte!

Er verfolgte den 25jährigen auch beim Einkauf. Keine Schwierigkeiten hatte er damit, eine Tüte Chips und eine ganze Rolle Prinzenkekse zu kaufen. Später wurde er Zeuge, wie der jüngere Jones beides an nur einen einzigen Tag verdrückte. Offenbar ein Ritual, dass ihm wie von selbst „passierte“.

Der jüngere Jones hatte Träume, Freuden und Hoffnungen, die auch der ältere Jones noch kannte. Leere Versprechungen eines glänzenden, damals noch fast „neuen“ Lebens als Erwachsener.

Jones Senior seufzte als er sich über Jones Juniors Schulter beugte, um zu lesen, was er in seinem Tagebuch schrieb. Er schrieb, wie schwer das Leben sei. Das er davon träume, eine Partnerin zu finden. Aber keine sei wirklich an ihm interessiert. Beruflich sei er „gefangen“, da er eine Ausbildung hinter sich gebracht hatte, die sich nie wirklich nach „ihm“ angefühlt hatte. Nun versuchte er in der Verwaltung einen Posten zu finden, der möglichst wenig mit Verwaltung und mehr mit Menschen und Kreativität oder Kultur zu tun hatte. Aber gab es sowas überhaupt?

Als Jones Jr. Sein Tagebuch schloss – stimmungsvoll in Gegenwart einer brennenden Kerze und eines Glases halbsüßen Weins – schloss Jones Senior seine Augen und nickte voller Verstehen und Mitgefühl.

Sein Leben war weitestgehend unverändert geblieben. Und er? Er war nur noch mehr der geworden, der er immer schon gewesen war. Ein junger Mann mit einem Herzen voller Träume. Nur das sein Körper nicht mehr so jung war. War es so, zu altern? Aus seinem Körper heraus in die Welt zu schauen, unverändert im Geist, und zuzusehen, wie sich um einen herum alles ändert, während man selbst im Auge des Sturms bleibt, bis er einen mit sich reißt?

Zum Glück bekam Mr. Jones, als er sich dies fragte, großen Hunger. In Wirklichkeit waren nur fünf Minuten vergangen, in denen er daran gedacht hatte, wie er früher gewesen war. Immer noch saß er vor dem Spiegel und obwohl ihm weder der Bauch, noch die trockene Haut oder die Falte an seinem Auge gefiel, lächelte er sich an. Dann streckte er sich die Zunge aus und lachte. Zeit für ein Frühstück!

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