PARZIVAL – Eine Kurzgeschichte

Mein Name ist Ghamuret.

Ich danke euch, das ihr meine Zeilen lest. Es war nicht leicht für mich, einen Verbündeten in eurer stofflichen Welt zu finden, der sie aufschreibt. Ich bin schon lange tot.

Als mich die Lanze traf, zweifelte ich noch einen Moment an meinem Ende. Mein letzter Gedanke gehörte meinem Sohn Parzival. Er war noch sehr klein und es war für mich das bitterste, das ich ihm nie das reiten, das Bogenschießen, das kämpfen mit dem Schwert beibringen könnte. Ihm nie würde zusehen können, wie er ein erwachsener Mann wird. Dieser Gedanke erzeugte einen tiefen Schmerz in mir, der sich mit dem des Speers in meiner Brust mischte. Ich stürzte vom Pferd und schon im stürzen trennten sich meine Seele und mein Körper. Ich fühlte nicht einmal mehr den Aufprall auf dem sandigen Boden.

Ich sah, wie mein Knappe, der Getreue, um mein Leben rang und anderen Rittern, die sich ebenfalls im Kampf befanden, anrief, man möge ihm helfen. Wie gerne hätte ich ihm eine Hand auf die Schulter gelegt und ihn beruhigt! Aber das konnte ich nicht mehr. Meine Zeit auf Erden war so kurz gewesen – und ein für allemal beendet.

Von meiner fabelhaften Reise in Gottes Reich erzähle ich euch nicht. Es wäre mir möglich, würde aber meiner eigentlichen Erzählung abträglich sein. Außerdem würdet ihr mir nicht mehr recht glauben, insofern ihr überhaupt bereit seit, einem „Geist“ zu glauben.

Ich trat, wie soll ich es beschreiben? Ja, ich trat vor Gottes „Thron“ und ich bat ihn, meinen Sohn Parzival bis zum Mannesalter begleiten zu können. Gott ist ein gütiger Gott und nicht so erbärmlich, wie ihr ihn euch oft vorstellt. Er ist wahrhaftig ein großer Geist – und er hatte ein Einsehen mit mir. Er erbarmte sich meiner.

Als Geist waren mir die Möglichkeiten gebunden, aber immerhin konnte ich ein wenig Einfluss auf das Leben meines Sohnes nehmen. Ein einziges Mal dürfte ich sein Geschick lenken. Das war ein Geschenk, das ich mit auf meinen Weg bekam.

Wenn ich euch erzähle, dass meine Frau und ihr Sohn Parzival bescheiden in einer Holzhütte im Wald lebten, mögt ihr euch fragen, wie das sein kann, da ich doch ein Ritter  war und ein Ritter eine Burg besitzen müsse! Das war auch so.

Meine geliebte Frau hieß Herzeleid. Wahrhaftig erlebte sie schon oft in ihrem Leben großen Kummer, großes „Herzeleid“. Als sie von einem Boten erfuhr, dass ich im Kampf gefallen war und das unser Sohn die Burg und alles erben sollte, weinte sie bitterlich. Ich sah es mit an! Ich konnte bis in ihr Herz sehen! Sie sah vor ihrem inneren Auge, dass eines Tages auch ein Bote daher kam und vom Tod unseres lieben Sohnes Parzival erzählen würde.

Was soll ich sagen? Sie packte alles ein, was nötig war – und nichts mehr als dies – und zog mit Parzival in den Wald. „Du wirst kein Ritter“, sagte sie dem kleinen Kerl, der noch kein Jahr alt war. Sie hatten nicht viel, aber immer genug. Ernährten sie sich von Pilzen, Beeren und ein Mal im Monat fuhren sie, mit einer alten Kutsche, auch in die benachbarte Stadt, um sich Nahrung zu kaufen.

Parzival wurde ein starker Jüngling. Aber er kannte außer Herzeleid niemanden. Wenn er sich für die Frauen in der Stadt interessierte, erzählte sie ihm: „Diese Frauen bringen nur Kummer, bleib lieber bei mir.“ Und wenn andere Männer, etwa der Sohn des Bäckers, Fabian, mit ihm einen Humpen Bier trinken gehen wollte, erhob sie Einwand: „Das ist kein Umgang für dich, vertraue mir!“ sagte sie ihm dann.

Lange Jahre lebten die beiden zufrieden in ihrer Holzhütte. Es war ein bescheidenes Leben, aber hatte durchaus seinen Reiz. Ich konnte sie sogar verstehen, wenngleich mir beide dennoch sehr leid taten. Herzeleid hatte ich durch meinen Tod das Herz gebrochen und Parzival verpasste so unendlich viele, wunderbare Dinge im Leben. Dennoch war Parzival zufrieden und ich begnügte mich damit, dass er zufrieden war.

Tage gingen und Nächte flossen dahin, wie der Fluss, der in das Meer mündet. Bald war Parzival ein richtiger Kerl, noch größer und stärker denn je und sein Herz war voller Leidenschaft und ehrenhaftem Mut. Er wollte sich der Welt stellen, er wollte wissen, was außerhalb ihrer Hütte geschah. Das bemerkte Herzeleid und war voller Kummer. „Wenn er das tut“, meinte sie, „dann werde ich ihn verlieren und er wird sein Leben verlieren.“ sagte sie, in einer stillen Stunde, zu sich.

Wie gerne hätte ich ihr zugeflüstert: „Du irrst! Vertraue dem Leben! Ein Mann muss in die Welt gehen, muss Fehler machen dürfen, muss wachsen dürfen!“ Als Geist war mir dies jedoch unmöglich. Abgesehen davon hätte sie mir kaum zugehört, hatte ich doch durch mein ständiges Kämpfen in der Welt mein Leben verloren und ihr Herz gebrochen. Wie konnte ihr jemand, der so gelebt hatte, einen „guten Rat“ geben können? Ich konnte sie verstehen, aber ich sah auch bekümmert, wie mein lieber Parzival immer trauriger wurde und all seine große Kraft verlor sich im Laufe der so kostbaren Zeit.

Ja, vermutlich denkt ihr, dass ich an diesem Punkt in sein Geschick eingriff? Genau so ist es gewesen. Denn eines Tages ritten drei Ritter  durch den Wald, in dem die Hütte stand. Ihre Namen tun nichts zur Sache, wohl aber, dass sie wunderschöne, glänzende Rüstungen trugen. Ich warf ihnen einen Baum in den Weg, so dass sie an der Hütte vorbeikommen mussten. Parzival, der gerade Feuerholz spaltete, sah sie und erstarte vor Ehrfurcht. „Seid ihr göttliche Wesen? Seid ihr Engel?“ fragte Parzival. Die Ritter lachten. „Bürschchen, willst du uns auf den Arm nehmen?“ fragte einer der Ritter und Parzival verneigte sich und sprach: „Keinesfalls, mein Herr. Entschuldigt. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so edel gewandet war!“ Jetzt sahen sich die Ritter an und es wurde klar, dass sie meinen Sohn mochten. Der Älteste von ihnen richtete sein Wort an ihn. „Du hast also noch nie Ritter gesehen? Nun, dann sind wir die ersten, die du zu Gesicht bekommst. Wir sind Ritter und wir kämpfen und streiten für König Artus, den gerechtesten König, den es je gab und geben wird.“

Parzival war in diesem Moment sicher, dass auch er Ritter werden wollte. Als Herzeleid bemerkte, dass sie ihren Sohn nicht aufhalten konnte, in die Welt zu gehen – und sie hatte es beileibe versucht – kleidete sie ihn bunt und keck, so dass er eher wie ein Hofnarr aussah. Sie erhoffte sich, dass ihn so gekleidet niemand bei Hofe ernst nehmen würde. Sie tat das nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie sich sicher war, ihn so vor einem zu frühen Tod als Ritter bewahren zu können.

Ich beobachtete noch vieles, aber will euch nicht langweilen. Das Wichtigste scheint mir ist, dass Sir Parzival bald ein Ritter bei Hofe des Königs wurde und mehr als das! Er fand den Heiligen Gral, den Gral des wahrhaftig letzten Abendmals von Jesus, unserem Herrn.

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass er nach 7 Jahren und vielen bestandenen Abenteuern zu seiner Mutter zurückkehrte. Er nahm sie zu sich, auf seine Burg, und kümmerte sich um sie, denn sie war alt und gebrechlich geworden. Als sie eines Abends in einem gemütlichen Zimmer seiner Burg, auf ihrem Bett lag und merkte, dass sie bald diese Welt verlassen würde, kniete sich Parzival zu ihr und sie beteten zusammen. Dann sagte sie: „Parzival, sieh dich nur an. Du bist ein wunderbarer Mann geworden. Ich war im Unrecht. Es war falsch, Dich all die Jahre zurück zu halten.“ Aber Parzival legte ihr nur einen Finger sanft auf ihre Lippen und meinte: „Es ist alles gut, Mutter.“ Lächelnd schlief sie ein.

Das war dann auch der Augenblick, in dem ich mich gänzlich aus dem irdischen Leben verabschiedete. Obwohl ich zuvor noch eine Sache zu erledigen hatte. Genau, es ging darum, diese Zeilen einem Menschen zukommen zu lassen, der sie dann aufschrieb. Ich setzte mich in dessen Kopf, so dass er meinte, ihm selbst wären diese Gedanken gekommen.

Ich bin froh und erleichtert, dass alles so gut ging. Und euch kann ich nur bitten, euren Herzen zu folgen, denn all die Angst vor all den Dingen, die passieren könnten, halten euch nur davon ab, ein erfülltes Leben zu führen. Ihr müsst ja nicht gleich den heiligen Gral finden, aber – wer weiß – vielleicht findet ihr euren ganz persönlichen „Gral“? Was das für euch ist, das müsst ihr selbst herausfinden.

Jetzt kann ich endlich in Frieden ruhen.

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