Der Mehrgewinn der Brutalität

Ich bin immer wieder verwundert, wenn ich von Freunden höre, dass sie die Brutalität in Serien und Filmen und Computerspielen entweder teilnahmslos oder sogar begierig aufnehmen. Ich sah die Serie „Gotham“ bis zu jener Folge, in der Victor Zsaz einen abgetrennten Kopf in seiner Hand hielt, der noch blutete. Das war in der Gegend der Folge, in der sich ein anderer Charakter mit einem Löffel ein Auge aus dem Schädel gedrückt hat, um aus ihrer perversen Gefangenschaft als potentieller Spender von Körperteilen entkommen zu können. In „Ripper Street“ gab es auch genügend Folterszenen, verweste Leichen und blutende Wunden, um für eine Strecke von Alpträumen zu sorgen. Beide Serien haben aber nicht nur ihre verheerende Brutalität zu eigen, sie sind darüber hinaus auch extrem spannend – und gelten hier nur als Beispiel einer Unzahl von hoch gefeierten Serien, Filmen, Spielen, sogar Hörspielen, in denen Grausamkeit offenbar von der Masse gern gesehen wird.

Darauf angesprochen argumentieren viele Fans von Brutalität, dass sie eben auf „Realität“ setzen. Ich nenne so was „Sofa-Brutalität“. Es erinnert an die Gladiatorenkämpfe im alten Rom oder die öffentlichen Hinrichtungen des Mittelalters. Bequem im Sofa fletzend schauen sich diese Anhänger von Grausamkeit quasi „reales“ Geschehen an.

Bei diesem Thema erinnere ich mich immer wieder daran, dass ich als Schuljunge – das war in den 1980er Jahren – mal einen kritischen Text zum Thema „Überreiz“ in Englisch analysieren musste. Der Text erklärte, dass es schon im damaligen Amerika in den Medien immer mehr zur Darstellung von Gewalt käme, weil die Zuschauer sonst nichts mehr dabei „spüren“ würden. Die Gewaltdarstellungen seien wie eine Droge, von der man immer mehr brauche, um das gleiche spüren zu können, wie „beim ersten Mal“.

Doch wie verpönt ist die, meiner Meinung nach gesunde, Einstellung, sich solchen optischen und akkustischen Gewaltdarstellungen widersetzen zu wollen? Jeder, der das wissen möchte, kann mal in einem entsprechenden Forum die Frage formulieren, ob man – in dem ansonsten genialen Spiel – „Red Dead Redemption II“ die Gewaltdarstellungen (Blut, Verstümmelungen) ausstellen kann. Wo immer man im Internet deutlich macht, dass man solche Gewalt nicht sehen will, bekommt man aggressiven Gegenwind. Unsachliche, fast beleidigende Reaktionen sind der Fall und zeigen, dass sich die Konsumenten von großer Gewalt offenbar selbst wie ganz rauhbeinige „Soldaten“ fühlen, die durch „Blut und Schlamm“ gewatet sind. Dabei ist das einzige, was in der Regel die Hand eines Zuschauers oder Gamers berührt eine verschüttete Cola ist. Mit Realität hat das alles nichts zu tun. Ein „Battlefield“ – Spieler, den man eine halbe Stunde an der ECHTEN Front im ersten Weltkrieg aussetzen würde, käme vermutlich weinend und seelisch zusammengebrochen wieder zurück in die Realität. Und er würde vermutlich nie wieder – oder mit einer ganz anderes Sichtweise– Battlefield spielen.

Ob sich unter den Gamern vereinzelt auch wahre Attentäter befinden, ist ein Thema für sich. Eltern, die ihren Kindern unzensiert und vor Allem unkommentiert in der heutigen Medienlandschaft machen lassen, was sie wollen, verstehen meiner Meinung nach nichts vom Erziehungsauftrag. Ich hatte das Glück einen Vater zu haben, der den zweiten Weltkrieg auf manch schmerzliche Weise erlebt hat. Durch das von ihm direkt überlieferte, wurde mir klar, dass „Krieg“ und Grausamkeit nichts ist, was der „Unterhaltung“ dienen sollte.

Dabei möchte ich eine Erfahrung aus dem Jahr 2002 anrbingen. Damals, am 11. September, stand mein Geburtstag kurz bevor und ich hatte mir ein Star Trek Spiel gewünscht, in dem es darum geht, als ehrenhafter Klingone in den Krieg zu ziehen. Es war ein Spiel, dass alleine auf Raumschiffe fixiert und gänzlich unbrutal war. Abgesehen davon eben, dass ich mit Torpedos feindliche Schiffe besiegen musste.

Nach dem realen Angriff auf die Zwillingstürme in New York, hatte ich jedoch keine Lust mehr das Spiel zu spielen. Die wahren Eigenschaften des Krieges waren durch den Anschlag näher gekommen, waren spürbar und bedrohlich geworden. Das hier waren „nur“ zwei Hochhäuser, die zum Einsturz gebracht worden waren, wie viel grausamer noch muss dann ein Krieg sein, in dem manche Städte ausradiert wurden / werden!? Die Trauer ergriff damals große Teile der Welt. Natürlich war die Politik der Amerikaner in mancher Hinsicht zweifelhaft und das Motiv für den Anschlag an sich vielleicht nachvollziehbar, aber hier ging es nicht um große politische Vorstellungen oder richtige und falsche Entscheidungen hoher amerikanische Politiker, sondern um einzelne Schicksale. Menschen mit Familien, Leute wie Du und ich, die von heute auf morgen unnötig aus dem Leben gerissen wurden und tiefe Wunden auf Generationen hinterließen.

Das ich dieses „Star Trek“ Spiel erstmal nicht anfasste war für mich ganz natürlich. Wie konnte ich jetzt vor dem PC sitzen und bei Chips und Cola Spaß am „Krieg spielen“ finden?

Doch die Werte verfallen, wie in jeder fortgeschrittenen Zivilisation. Es ist „wie im alten Rom“, das passt schon. Nein, ich glaube nicht, dass man ein „Weichei“ ist, nur, weil man in Serien und Filmen dargestellte Grausamkeit ablehnt. Für mich ist quasi reale Darstellung in einem ansonsten guten Film kein Mehrgewinn, sondern ein Hinderniss.

Dieser Beitrag wurde unter Kolumne veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert