Sich ausdrücken. Nie fiel es mir leichter als mit dem Klavier meiner Oma. All meine Emotionen, die Zweifel, Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte, konnte ich mit dem Klavier ausdrücken. Manchmal waren es auch einfache Geschichten von den hohen gegen die tiefen Töne, also Gut gegen Böse. Aber meistens war das einfach „Ich“. Es hörte sich wohl manchmal recht schräg an, für mich war es jedoch ein „Ventil“, eine Möglichkeit, „das Unsagbare zu sagen“.
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Als das Klavier wegkam – über meinen Kopf hinweg und obwohl ich es erben sollte – verlor ich eine Möglichkeit, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Aber ich wurde mir dessen nicht gewahr, obwohl es so war. Weiterhin zog mich die Musik an, die „große“, die „klassische“ Musik.
Denn nicht nur konnte ich mich über die Musik ausdrücken, besser durch „Töne“, denn ich wusste von Musikthoerie noch nichts und kannte keine Note, ich fand auch Verständnis in der Musik anderer Komponisten. Auch sie drückten – manchmal ganz anders intendiert – für mich Gefühlszustände aus, von denen ich sagen konnte: DAS bin ich!
Oder sie überraschten mich. Wie Dvorak mit „Aus der neuen Welt“ oder Mozart mit seiner 40igsten Symphonie, die mir direkt unter die Haut ging und dafür sorgte, dass sich meine Armhaare aufstellten. Pure Energie!
Ich besuchte als kleines Kind einen Flötenkurs, galt dort als begabt und dann wurde die Lehrerin sehr krank und kam nicht wieder. Nachdem mein Klavier wegkam, erhielt ich so ein „Spielzeug“ von Tasteninstrument aus dem Hause Casio, dass nur aus Elektronik und Plastik bestand. Auch dazu erhielt ich Unterricht, fühlte aber jedes Mal im Unterricht die Begrenztheit dieses Spielzeugs. Da gab es kein Schwingen, kein Leben in diesem toten Stück Plastik! Also brach ich den Unterricht ab. Meine Eltern dachten wohl, es sei Desinteresse, aber es war Resignation.
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Ich wurde älter und blieb der Musik im Geiste verbunden. Von „der Musik“ ging für mich einfach eine unglaublich große Anziehung für mich aus. Ähnlich wie vom anderen Geschlecht, spätestens seit meiner Pubertät, nur auf eine andere, mächtigere, reinere Weise. Schwer zu beschreiben.
Mit Anfang 20 gab es in der Familienbildungsstätte einen Kurs für Gitarre und ich äußerte einer Freundin, ich würde da ja gern mitmachen eigentlich, aber ich hätte ja keine Gitarre. Es war nur so dahin gesagt. Sie hatte eine Jugendgitarre, die sie mir – da sie darauf nicht mehr spielte – für sehr wenige Deutsche Mark veraufte. Also ging ich in den Kurs.
Wir lernten viel „Geschrammel“, ein wenig Zupfen. Akkorde halt. Der Anfang auf jeder Gitarre. Dann wollte ich mich spezialisieren, den ich war auf den Geschmack gekommen. Seit meiner „Klavier – Zeit“ wollte ich nach Noten spielen können. Ich mochte Noten. Sie sahen schön aus, fand ich schon als Kind. Meine Oma sang mir an ihrem Klavier einmal die „letzte Rose“ aus der Oper „Martha“ vor. Ich fand es faszinierend, dass diese Zeichen wie ein Geheimcode gelesen werden konnten. Man konnte MUSIK aufschreiben!
Ich fragte also meine Gitarrenlehrerin, ob sie mir das spielen nach Noten beibringen könnte. Das war ungewöhnlich für mich in dieser Lebensphase! Ich war sonst niemand, der Dinge anpackt, es mangelte mir gewöhnlich an Selbstvertrauen. Aber die Musik, wie gesagt, hatte diese große Anziehungskraft! Sie meinte, das ginge und ich begann mit dem Einzelunterricht. Das war etwa 1992 / 1993.
Folk!
Während für mich die klassische Musik auf ewig die „Königin“ jeglicher Musik sein wird, stellte für mich – schon seit Kindheitstagen, als ich noch nicht wusste, dass „das“ Folk ist – zunehmend die „Folk – Music“ einen interessanten Gegenpart dar.
Während in der Klassik kunstvoll und raffiniert Harmonien und somit Stimmungen erzeugt wurden, war die irische (und generell die keltische) Musik für mich immer schon von einem besonderen, ganz anderen, Reiz gewesen. Die Unmittelbarkeit und schlichte Schönheit dieser Musik war für mich, ich war nie in Irland oder Schottland, ein klangliches Bild der dort von mir vermuteten Landschaften. Aber möglicherweise auch ein Sinnbild für das „schlichte und herzliche“ Wesen (Vorsicht: Klischees!) der drotigen Bevölkerung.
Was auch immer daran sein mag: Mitte der 1990er Jahre gab es in Hildesheim einen Musikladen, der „Armorique“ hieß. Dort gab es Geheimtipps auf CD und im hinteren Ladenteil auch wunderbare, handgefertigte Meister-Gitarren von Antonio Sanchez (eine davon erwarb ich bei der bedauerlichen Auflösung des Geschäfts Ende gegen 1996/1997 und verkaufte sie später, was einfach dumm war, aber das ist ein anderes Thema…).
Der Laden sorgte auch für eine Menge toller Konzerte aus dem Folk – Bereich. Damals gab es in Hildesheim und um Hildesheim herum mehr Folk als je zuvor oder danach. Und: Guten Folk! Mein erstes Konzert dieser Art war von „Thomas Loefke and Friends“, einer Gruppe deutscher und irischer Musiker, darunter auch Gitarristen der berühmten Band „Clannad“.
Folk ist für mich wie eine Verbindung in die Vergangenheit, die uns gleichzeitg mit dem Herzen verbindet, dem menschlichen Herzen, dass sich über all die Jahrhunderte nie verändert hat.
Hoffnung und Krise
Ich könnte einen Artikel darüber schreiben, wie wir Menschen die Gefangenen unserer eigenen Muster sind und was das für Auswirkungen auf die Beziehungen hat, die wir eingehen. Aber hier soll es nur um die Musik gehen. Trotzdem ein paar erklärende, weil notwendige, Worte:
Auf eine gewisse Weise verlor ich mich zunehmend, während der Beziehung mit meiner (Ex)frau, die ich 1997 kennenlernte. 1998 hörte ich mit dem Gitarre spielen auf. Meine (Ex)frau unterstützte mich darin, meine Begeisterung für das Klavier neu aufleben zu lassen, denn sie war wirklich an mir interessiert, wollte mich fördern.
Aus heutiger Sicht hatte ich sehr schnell begonnen, meine Priorität „auf den Erhalt und die Pflege unserer Beziehung“ zu legen. Ich meinte mich (mehr oder weniger erfolgreich), auf bestimmte Weise verhalten zu müssen, weil ich meinte, die Beziehung sei sonst zum Scheitern verurteilt. Dadurch jedoch handelte ich zunehmend weniger authentisch und brachte so (die griechische Tragödie lässt grüßen) meinen Anteil zum späteren Ende der Beziehung mit ein – und zum frühzeitigen Ende meiner Leidenschaft für die Musik. Auch am neuen (und besseren) Digitalklavier, dem Celviano, saß ich daher nur relativ kurze Zeit und generell hörte ich kaum noch (klassische) Musik.
Wenn in einer Beziehung nicht BEIDE authentisch und frei sein können, passt es nicht. Aber das wusste ich damals noch nicht. Ich hatte aus der Familie andere „Modelle“ vorgelebt bekommen…
Trotz unterschiedlicher psychosomatischer Symptome, die die Trennungsphase (gefühlt ab 2006) in mir aufpoppen ließen, wie Blumen nach einem Sommerregen, kaufte ich mir online erneut eine Gitarre (meine (wirklich) guten alten Gitarren hatte ich inzwischen verkauft…) und versuchte es erneut, Unterricht zu nehmen, nur das es mir bald zu schlecht ging, weil ich immer weniger ignorieren konnte, dass unsere Beziehung rasant auf einen tiefen Abgrund zuraste – und ich immer mehr daran zweifelte, dies aufhalten zu können. Ich verstand gar nichts mehr. Subjektive Wahrheiten sind für einen subjektiv wahr.
Als ich schließlich, nach meinem Auszug, noch einmal in unsere alte, gemeinsame Wohnung kam, fand ich meine „neue“ Gitarre unerklärlicher Weise zerbrochen vor. Es gab diverse Verdächtige, aber mich interessierte das nicht, ich fühlte mich ohnehin innerlich taub und leer. Sicher war dies aber Eines: Ein Symbol für mein Leben damals! Das war etwa 2010.
Meine „Neue“
Etwa 2012 ging ich hier in den selben Laden, in dem ich schon 1993 im Winter meine erste „große“ Gitarre (nach der Jugendgitarre) gekauft hatte. Ähnlich (nicht ganz so) stolz wie damals, verlies ich auch an jenem Tag das Klavierhaus Meyer in Hildesheim und machte mich abermals daran, Unterricht zu nehmen.
Wieder kamen Entwicklungen und Schwierigkeiten dazwischen. Schlafstörungen, Sorge um meine Kinder usw. usf. Wenig Geld, aufgrund von Arbeitslosigkeit.
Corona
Für viele war Corona ein Fluch. Für manche ein tödlicher, kein Zweifel. Für viele ein psychischer, denn Corona zwang die Leute, sich mit ihrer Realität auseinanderzusetzen, sich ihrer bewusst zu werden. Daran zerbrachen viele oder wurden doch zumindest in Mitleidenschaft gezogen.
Ich hatte in den Scheidungsjahren viel über Krisenmanagement gelernt und blühte 2020 geradezu auf. Ich begann mit Sport und nahm einige Kilo ab, ich genoss die vielen freien Plätze in der Bahn und war dankbar, dass mir die anderen Kunden an den Warteschlangen im Supermarkt nicht bis an meine Schuhsohlen aufrückten. Das war „meine Zeit“. Ich dachte, die Menschheit würde sich vielleicht JETZT ändern! Ein spirituelles Erwachsen? Das war sicher ein Irrtum und die Menschheit musste der aufgestauten „Schlechtigkeit“, die AUCH in ihr steckt (neben vielen segensreichen Eigenschaften), in den Jahren nach Corona (bis heute) viel Raum geben. Weltweit. Aber ich schweife ab.
2021 im März dachte ich, es muss mehr Veränderungen in meinem Leben geben. Aber was? Da wurde ich mir dessen bewusst, dass ich doch immer mal wieder den Versuch unternommen hatte, das Gitarre spielen erneut aufzunehmen. Der Unterricht (Einzelunterricht) war nach wie vor teuer, aber mein Gott – wenn nicht jetzt, wann dann? Egal wie! Also griff ich mir das Instrument und fing mit Heinz Teucherts Gitarrenschule I erneut an, arbeitete mich durch bis zu dem Punkt, wo ich 1997 einmal aufgehört hatte. Schnell kam ich ins Stocken.
Die Corona – Zeit hatte jedoch den „Online Unterricht“ so was von vorangebracht (sagte ich schon, dass Corona mir fast nur Gutes brachte?), so dass ich bald übe rein Forum einen guten Gitarrenlehrer mit erschwinglichen Preisen fand.
Seit 2021 spiele ich täglich, so es irgend möglich ist.
Ach ja: Ende 2021 ging ich – ebenfalls seit Jahren – das erste Mal wieder in ein Konzert. Es wurde ein Violinkonzert und das berühmte „Requiem“ von Mozart gespielt, was für mich den Kreis schloss. Es fühlte sich an als wäre ein innere Heilung abgeschlossen.
Und noch eine Krise, weil es so schön ist!
2022 wurde bei mir eine ungeklärte, jedoch chronisch entzündliche Darmerkrankung festgestellt. Okay, „festgestellt“ ist relativ, denn wenn ein Arzt nichts „sehen“ kann, ist auch nichts da, und sei es bei stark erhöhten Entzündungwerten. Das Thema wäre auch einen Artikel wert…
Zur selben Zeit – März 2022, genau ein Jahr, nachdem ich wieder zur Gitarre gegriffen hatte – kam noch ein Problem dazu. Meine Mutter (damals Anfang 80), hatte einen richtigen „Lauf“. Viele Krankenhausaufenthalte. Ich musste mich um die Auflösung ihrer Wohnung und den Umzug kümmern und vieles mehr, während ich mit meiner Entzündung zu tun hatte und mich um mich hätte kümmern sollen. Meine Mutter war bald zufrieden in ihrem neuen Heim – und wird dies hoffentlich noch lange sein.
Abermals konnte ich aus einer krisenhaften Zeit jedoch am Ende etwas Gutes für mich daraus ziehen: Ich begann täglich zu meditieren! Immer so 25 – 45 Minuten. Ich schreibe das, weil ich dadurch meinem „Selbst“ noch näher kam und je näher ich meinem Selbst seither komme, desto heimischer fühle ich mich (wieder) in „der Musik“.
Gleichzeitig tröstete ich mich mit einer Gitarren-Solo-Variante von „What a wonderful world“, die ich mir beibrachte.
Heute
Im März diesen Jahres besuchte ich die Mozartstadt Salzburg. Ich fühlte mich dort pudelwohl. Die Stadt ist, natürlich nicht zuletzt finanziell motiviert, auf das Thema „Musik“ ausgelegt. Ich liebe diese Stadt, die wie ein Schmuckkästchen ist.
Ich besuche seit 2021 regelmässig diverse Konzerte. Zum Beispiel das „live on screen“ Konzert „Vertigo“, wo der Hitchcock FIlm im Original (mit Untertiteln) gezeigt wurde und die NDR Radiophilharmonie live die Musik spielte. Wahnsinn!
Kürzlich wagte ich es sogar, die Mozart / Daponte – Oper „Le Nozze di Figaro“ zu besuchen. Ich war erstaunt, wie gut mir das gefiel. Die Oper hat ihre Momente. Ist ein musikalisches Ereignis aus einer weit entfernten Zeit…
Ich suche regelmässig nach Leuten, mit denen ich spielen kann, habe mir noch eine Westerngitarre zugelegt, für meine Folk-Songs, für die ich mir diverse Notenbücher besorgt habe.
Gelegentlich spiele ich mit einem anderen Gitarristen, selten mit meinem jüngeren Sohn, der inzwischen auch schon volljährig ist.
Außerdem singe ich seit 2023 in einem Chor mit.
Fazit
Ich musste in meinem Leben immer gegen Widerstände ankämpfen, auch in Bezug auf die Musik, der ich mich so zugehörig fühle. Ich bin kein großer Könner. Aber darum geht es auch nicht. Es geht mir einfach darum zu sagen, dass innere Heilung manchmal auch im Stillen stattfindet, denn wie ein grünes Pflänzchen, dass durch den Asphalt bricht, wurde ich dank und durch die Musik wieder mehr zu mir selbst. Während der Trennung und Scheidung hatte ich mich teilweise sehr verloren. Wörtlich.
Wenn man mit dem Herzen bei einer Leidenschaft ist, wird man immer dabei bleiben und immer Wege finden.
Wäre ich mehr gefördert worden, hätten meine Eltern meine Neigung ernster genommen, wäre ich dann heute Dirigent, Komponist oder würde am Piano in einem Orchester spielen? Vielleicht. Aber letztlich ist es so, wie mit jeder „Geliebten“: Es kommt nicht darauf an, wie man beieinander ist, sondern DAS man beieinander ist.
„In guten und in schlechten Zeiten“.